Solidarisch sein

Von Antje Röckemann (8. April 2020)

„Schreib doch über Seuchen in der Bibel“, schlug mir eine Freundin vor, als ich (am Telefon, versteht sich) laut überlegte, ob und wie ich auf diesem Blog Corona thematisieren sollte. „Das müsste ich aber ganz neu recherchieren“, lamentierte ich.

Aber warum eigentlich nicht … In meinem Bücherschrank steht zum Glück das wunderbare „Sozialgeschichtliche Wörterbuch der Bibel“. Ich suche nach Seuche oder Pest – jeweils Fehlanzeige. Aber den Krankheiten ist ein längerer Beitrag gewidmet.

Beim Querlesen stelle ich fest: Ich weiß doch viel über Krankheiten, Seuchen eingeschlossen, aus biblischer Perspektive. Kranke kommen in der Bibel häufig vor. Das hat damit zu tun, dass die Bibel vorwiegend von armen Menschen erzählt, die Hunger leiden. Und solche sind damals wie heute eben auch öfter krank. Und anfällig für Seuchen.

Medizinisches Wissen wird in der Bibel eher nicht vermittelt. Aber es wird deutlich: Es geht im Umgang mit Krankheiten, egal ob Lepra, eine unbestimmte Seuche oder eine andere Krankheit, immer um das Miteinander. Um Solidarität. Um Unterstützung.

Dass jemand Hilfe und Unterstützung braucht, wenn er oder sie krank ist, ist ja zunächst nicht ungewöhnlich. Das erleben wir im Alltag und auch bei jeder Krankheit. Es tut gut, wenn jemand da ist, einkauft oder kocht, mich besucht, mich medizinisch versorgt …

Diese Corona-Krise ist vielleicht ein guter Anlass, nicht nur über den Umgang mit einer Krankheit, sondern grundsätzlich über den Umgang miteinander nachzudenken. Wir merken, wie sehr wir aufeinander angewiesen sind. Und auf das solidarische Handeln der Anderen. Ich merke, dass mein Leben nur „funktioniert“, wenn die anderen auf mich Rücksicht nehmen. Nicht nur, wenn ich krank bin. Und wir merken: Seuchen kann man nur mit Solidarität begegnen. Miteinander und füreinander eintreten, sich einander zuwenden, trotz aller Distanzwahrung, darum geht es.

Solidarisches Handeln können wir in biblischen Worten auch „tätige Nächstenliebe“ nennen. Das „Gebot“ der Nächstenliebe halten viele übrigens für eine christliche Erfindung. Es ist aber viel älter. Martin Buber und Franz Rosenzweig haben es in ihrer Übersetzung der Tora (Fünf Bücher Mose) so wiedergegeben: „Liebe deinen Nächsten, er – oder sie – ist wie du.“ (Leviticus 19,18)

Wie zentral diese Forderung ist, erzählt die folgende Geschichte aus dem Babylonischen Talmud: Ein Mensch möchte gerne „die ganze Tora“ erklärt haben, während er auf einem Fuß steht. Rabbi Schammai findet das einfach nur frech und lehnt ab, Rabbi Hillel aber nimmt die Herausforderung an. Und antwortet: „Was dir nicht lieb ist, das tue auch deinem Nächsten nicht. Das ist die ganze Tora und alles andere ist nur Erläuterung; geh und lerne sie.“

Und diese Geschichte erklärt auch sehr schön, worum es bei der „Nächstenliebe“ geht, nämlich eben nicht um die großen Gefühle: „Liebhaben“ ist keine Voraussetzung für solidarisches Handeln.

Und was haben Sie für einen Eindruck: Was lernen Sie, was lernen wir jetzt miteinander in dieser Zeit?

Das Bild ist von Wanda Korfanty und urheberrechtlich geschützt.

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